Debatte über Gasförderung: Fracksausen – Inland – FAZ

Auszug aus der FAZ vom 12.05.2013. Vor wenigen Jahren wurde der Mineralölkonzern Exxon Mobil in Deutschland noch für seine ingenieurtechnischen Meisterleistungen gefeiert. Weil es Exxon Mobil mit dem sogenannten Fracking-Verfahren im niedersächsischen Söhlingen gelungen war, ein Reservoir mit Erdgas zu erschließen, wurde der Konzern 2006 von der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ als großes Beispiel heimischer Ingenieurskunst geehrt. Der Leiter der Unternehmenskommunikation von Exxon Mobil, Norbert Stahlhut, erinnert sich, wie 250 Menschen zu einem Festakt kamen, um dem Fracking zu huldigen, unter ihnen zahlreiche Politiker. Auch Klaus Dreyer erinnert sich an die ungetrübte Stimmung. Dreyer ist Bürgermeister der Nachbargemeinde Hassendorf, nur wenige Kilometer vom Söhlinger Bohrloch entfernt. Über Jahrzehnte hätten die Konzerne in Deutschland „gefrackt und gefeiert“.

Es werden die Zeiten gehuldigt, als es noch keine Bürgerinitiativen in Deutschland gab und die Erdgasindustrie im Einvernehmen mit den Genenehmigungsbehörden eine angenehme Zeit durchlebten. Mit Spenden an die örtliche Organisationen, Kindergärten, Feuerwehren waren auch die Lokalpolitiker mit im Boot. Kein Wasserversorger wurde darüber informiert welche Gifte man wo in den Boden einpresste.

Zu diesem Artikel der Faz erhielten wir einen Kommentar von einem Bewohner aus dem Erdgasgebiet in Niedersachsen. Nun zur Frage:

Ist die Erdgasindustrie nicht selber schuld, dass sie nicht mehr „gehuldigt“ wird?

 

Kommentar zum Artikel „Fracksausen“ in der „Frankfurter Allgemeine“ vom 12.05.2013

Mit schwülstigem PR-Text beschreibt die „Frankfurter Allgemeine“ die Konflikte um die Gasindustrie in der niedersächsischen Provinz, Landkreis Rotenburg (Wümme): „Guter Nachbar“ Exxon verteilte Taschengeld an arme Institutionen, in trauter Eintracht mit Behörden und Dorfbürgermeistern wurde angeblich „gefrackt und gefeiert“ … bis in so einem amerikanischer Film ein Wasserhahn entflammt wurde und die Idylle ein jähes Ende fand. Ein paar Risse in Häusern hatten nichts mit den Erdbeben zu tun und die Benzol-Diffusion aus Rohren nichts mit dem Fracking.“Norbert Stahlhut, erinnert sich, wie 250 Menschen zu einem Festakt kamen, um dem Fracking zu huldigen“. Auch Bergdirektor Söntgerath wird mit den üblichen Textbausteinen zitiert.

Nun ist Presseprofi Stahlhut , Meister im Verdrehen und Vernebeln der Wahrheit. In der Tat: Menschen waren eingeladen zu einem „Tag der offenen Tür“ in der Exxon-Betriebsstätte in der Samtgemeinde Bothel / Ortsteil Bellen.  Die unter dem Gelände befindliche Versenkbohrung „Söhlingen H1“ wurde ihnen jedoch verschwiegen, von defekten Leitungssytemen, Quecksilber in Wasser und Boden war da nicht die Rede. Eine frühe Form des „Exxonlog“ bereits damals, 2006. Hier eine Korrektur zur Debatte über Gasindustrie im Landkreis Rotenburg (Wümme).

Der Film Gasland spielte in dieser Region keine Rolle. Im Winter 2011 gab es erste Presseberichte über einen Leitungsschaden mit Austritt von Benzol und Quecksilber in Söhlingen. Durch die (ungeeigneten) Rohre waren die Gifte diffundiert, das Landesbergamt (LBEG) trat als Genehmigungs- und „Kontroll“-Behörde das erste Mal überhaupt an die Öffentlichkeit. Boden in „Autobahnbreite“ war ausgekoffert worden – die Öffentlichkeit war unzureichend informiert. („Schild an Waldrand“). Die „Stimmung“ kippte, als Exxon im Mai 2011 mit der Bohrung „Bötersen Z11“ zwei weitere „Fracs“ ankündigte. Eine Dokumentation des ZDF stellte den Zusammenhang her. https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=-OxbRxxAnfY

Die mittlerweile besser informierte Öffentlichkeit begann Fragen zu stellen und fand Antworten: Im Landkreis Rotenburg gibt es ca 60 Gasbohrungen. Bekannt wurde nun, dass es bereits etwa 100 „Fracs“ gegeben hatte, die Menge der eingesetzten Chemikalien wurde veröffentlicht: Über 2 Millionen Kilo. Die Wasserbehörde des Landkreises war und ist von dieser Dimension komplett überfordert. Über den Zustand der verfüllten Altbohrungen ist nichts bekannt, die Zementierungen können in 200-300 m Tiefe (Grundwassertiefe in der Rotenburger Rinne) nicht untersucht werden, mittlerweile entstandene Wegsamkeiten sind wahrscheinlich.

In den oberirdischen Anlagen wird das Gas vom hoch-salzigen Formationswasser separiert, nach Abtrennung von Quecksilber und Leichtöl/Benzol (u.a.) wird das Abwasser in ca. 900 m Tiefe verpresst. Die radioaktiven N.O.R.M.- Stoffe lagern sich vorrangig an Rohrwänden ab und werden von Fachfimen „abgenommen“. Die Stoffmengen, die mit dem Gas aus dem Untergrund zutage treten, können wir bisher nur schätzen – eine Million Kubikmeter pro Versenkbohrung (in ca. 10 Jahren) kann als Orientierung dienen. Im Landkreis Rotenburg gibt es davon vier.

Die oberirdischen Anlagen, die Leitungssysteme, die Versenkbohrungen fallen wie auch die spektakulären Bohrtürme und die „Frac-Behandlungen“ unter das Bergrecht. Daher haben die Kommunen kein „Vetorecht“, „Transparenz“ ist nur eine Floskel. Es gibt im Bergrecht kein umfassendes Informationsrecht der Öffentlichkeit. Es gibt keine allgemeine UVP, die Informationen offenlegen würde und vor allem die Kumulation der Anlagen steuern könnte. Denn eine Gasbohrung kommt niemals allein. Die Bohrungen und ihre Infrastruktur von Anlagen und Leitungen unterstellen ganze  Landstriche dem Bergrecht. Mittlerweile wissen die Menschen in Rotenburg (Wümme), dass die müllwagen-orangenen Schilder, mit denen die Gasindustrie Felder, Wälder, Wiesen, Wege und Dörfer pflastert den Verlauf des (oberflächennahen) Leitungssystems kennzeichnet – es sind Hunderte von Kilometern. Auch in Wasser- und Naturschutzgebieten.

Die regionalen Wasserversorger wurden ebenfalls nicht informiert, sondern mussten sich (zu Beginn der Debatte) die Informationen aus der Presse verschaffen. Die Wasserversorger der Region haben gewichtige Bedenken gegen alle Teilschritte des Produktionsprozesses (und nicht nur des „Fracking“). Das gesamte Grundwasserreservoir der „Rotenburger Rinne“ ist ungeschützt.

Ach, und die im Artikel zitierten Bürgermeister … Das „Taschengeld von Kleinkleckersdorf“ interessiert die Leute nicht mehr! Die gesellschaftlichen Gesamtkosten – Wasserwirtschaft, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Ökosystem, Tourismus, Enegiewende und Gesundheit sind wirklich wichtige Themen. Davon und damit leben wir und nicht von dem Profit von Exxon und RWE-Dea. Die Risse an „Haus und Hof“ beunruhigt die Leute – weil weder Versicherungen noch Schadensverursacher zahlen. Und den Rumms des Erdbebens vom Oktober 2004 hat hier keiner vergessen! Selbst in Hamburg haben Häuser gewackelt..

Stahlhut und Co können die „Film-aus-Amerika-Kasette“ langsam mal wechseln: Gasland ist hier. Das „F-Wort“ benutzen wir hier ungern – das Problem heißt Gasindustrie – und dass diese Bergrecht, Politik und Behörden kontrolliert und damit die kommunale Demokaratie als Wrack endet.  (Wrack = plattdeutsche Bezeichnung für „kaputter Tanker“) In einer Region in der jedes übergelaufene Güllefass (zu Recht) strafrechtliche Ermittlungen nach sich zieht, wissen die Leute, dass es ein Umweltstrafrecht gibt http://dejure.org/gesetze/StGB/324.html. Nur für die Gasindustrie gibt es einen „rechtsfreien Raum“ – Die polizeilichen Rechte und Pflichten haben laut Bundesberggesetz § 147 die „Kumpels vom Bergamt“ – die Genehmigungsbehörde ist auch mit der Kontrolle beauftragt. Mit diesem lichtscheuen Recht aus anderen Zeiten und für andere Technik entstanden – wird es keine „Transparenz“ geben und vor allem keine Akzeptanz. Es ist schlicht untauglich und in Teilen verfassungswidrig!

Quelle:
Debatte über Gasförderung: Fracksausen – Inland – FAZ.

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