Das „Gilette-Syndrom“: Soziale Kosten des Fracking

kranke erde, gesunder planetDie Fallstudie „The Social Costs of FRACKING – A Pennsylvania Case Study“ der NGO Food- & Water Watch vergleicht die Entwicklung bestimmter Erscheinungen und Kosten über ein Jahrzehnt hinweg – vor der breiten Einführung von Fracking in Pennsylvania bis 2005 und danach bis 2011. Dabei wird festgestellt, dass die in der nachfolgend übersetzen „Zusammenfassung“ enthaltenen Entwicklungen in direktem Zusammenhang mit der Häufigkeit der Frackplätze in der jeweiligen Region des Marcellus-Gasfeldes in Pennsylvania stehen. Je mehr gefrackt wurde, desto stärker zeigten sich auch die sozialen Belastungen der Gemeinden. Dazu wurden die Statistiken der 35 ländlichen Kreise von Pennsylvania untersucht. In 12 davon gibt es kein Fracking, in 23 findet Fracking statt, davon 8 mit der höchsten Fracking-Belastung.
Volker Fritz, Braunschweig im September 2013

Food- & Water Watch berichtet in der Fallstudie:

„Schon frühere ähnliche Untersuchungen von 1974 in Montana und 1977 in Nord Dakota zu Gemeinden die vom damaligen Kohleboom getroffen waren, ergaben, dass in diesen Gemeinden das Gemeinschaftsgefühl der Bewohner unter den hohen Belastungen zusammenbricht. „Depressionen, Scheidungen, Alkoholismus und Straftaten befallen die Gemeinden im „Wilden Westen“ der Energie“.

Für dieses Phänomen wurde das „Gillette-Syndrom“ als Bezeichnung gewählt, nach dem Örtchen Gillette in Wyoming. Eine Flut fremder Arbeiter strömt in die kleinen Gemeinden, verdient sehr viel Geld und kann damit in der Freizeit dort nichts anfangen. Das Überangebot an Männern sorgt für ein zunehmendes Gefühl der Unsicherheit bei den örtlichen Frauen“.

„Die heutige Entwicklung im Zusammenhang mit Fracking-Aktivitäten hat vergleichbare Belastungen für ländliche Gemeinden gebracht, einschließlich derer im Bundesstaat Pennsylvania. Beinahe alle Fracking-Arbeitsplätze werden während der Bohrphase benötigt und werden, zumindest anfänglich, mit Arbeitnehmern aus anderen Bundesstaaten besetzt, oder mit Zuzüglern, die wegen der Arbeit in die Gas-Förderstädte ziehen und zu einer Zunahme der Bevölkerung führen.

Die Folgen in Pennsylvania waren die Verdoppelung bis Verdreifachung der Hausmietkosten, wodurch örtliche Geringverdiener, die vorher ihr Leben aus eigener Kraft bestreiten konnten, öffentliche Unterstützung beantragen mussten, um die höheren Lebenshaltungskosten bestreiten zu können.

Die Ausdehnung von Bohren und Fracken ist begleitet mit bedeutenden Problemen für die Lebensqualität und die öffentliche Gesundheit in ländlichen Gemeinden von Pennsylvania.“

„Der Erdgas-Boom in Pennsylvania hat Tausende neuer Gasbohrungen gebracht, eine Anzahl durchreisender Arbeiter und eine Menge sozialer Probleme. Food & Water Watch fand heraus, dass Verkehrsunfälle, Unruhen in den Gemeinden und öffentliche Gesundheitsprobleme in den ländlichen Gemeinden von Pennsylvania zugenommen haben, seit der Schiefergas-Rausch im Jahre 2005 begann, wodurch die Lebensqualität der Bewohner der einst ländlichen Gebiete verschlechtert wurde. Konjunkturschwächen wie die Große Rezession sind oft mit negativen Auswirkungen verbunden, aber diese Kosten für Soziales und die öffentliche Gesundheit stiegen in ländlichen Gebieten mit neuen Schiefergasförderbohrungen stärker als in vergleichbaren ländlichen Gebieten ohne solche Bohrungen. Diese negativen sozialen Effekte waren besonders ausgeprägt in den Kreisen mit
der größten Dichte an Schiefergasbohrungen.

Die Öl- und Gasindustrie hat sich in der vergangenen Dekade stark ausgedehnt, durch den Einsatz der Kombination aus Horizontalbohrungen und Hydraulic Fracturing, um so das Gas aus Schieferlagerstätten und anderen Untergrund-Formationen herauszuholen. Beim Fracken werden große Mengen an Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck in die Bohrung
gepumpt, um so das fest im Gesteinsverband gebundene Gas herauszulösen. Das Fracking hat sich schnell auf Gebiete überall im ganzen Land ausgedehnt. Aber Pennsylvania war das Epizentrum des Fracking-Booms der Nation mit fast 5.000 Schiefergasbohrungen, die zwischen 2005 und 2011 gebohrt wurden.

Der Fracking-Boom hat zu vielen Schwerlastkraftwagen geführt, die die ländlichen Straßen bevölkerten, sowie zu fremden Arbeitern, die kleine Städtchen überfluteten und die örtlichen Wohnhausmöglichkeiten, die Kapazitäten der örtlichen Polizei und der örtlichen öffentlichen Krankenhäuser oftmals überforderten. Der Zustrom an durchreisenden Arbeitern mit der Möglichkeit Geld auszugeben und mit wenig Beschäftigung in ihrer Freizeit ist ein Rezept für Ärger in den Kleinstädten Amerikas, wo alkoholbezogene Kriminalität, Verkehrsunfälle, Aufsuchung von Notfallambulanzen und sexuell übertragene Infektionen alle zugenommen haben.

Ein Großteil der nationalen amerikanischen Diskussion über Fracking war auf die offensichtlichen Umweltrisiken konzentriert, während die sozialen Kosten des Fracking weitgehend ignoriert wurden. Diese Studie ist die erste detaillierte Langzeitanalyse der sozialen Kosten des Fracking, die durch ländliche Gemeinden in Pennsylvania zu tragen waren.

Die Hauptergebnisse umfassen:

  • Fracking führt zu mehr Unfällen mit Schwerlast-LkWs: die Schwerlastunfälle stiegen um 7,2 % in Gebieten mit hohem Fracking-Einsatz (mit mindestens 1 Bohrung pro 15 Quadratmeilen) und fielen im gleichen Zeitraum in Gemeinden ohne Fracking um 12,4 % nach Beginn des breiten Frackens in 2005.
  • Fracking führt zu mehr Inhaftierungen wegen gesellschaftlicher Störungen: Inhaftierungen wegen ungebührlichen Benehmens stiegen um 17,1 % in Gebieten mit hohem Fracking-Einsatz, im Vergleich zu 12,7% in Gebieten ohne Fracking.
  • Fracking führt zu mehr sexuell übertragenen Infektionen: nach dem Fracken war die durchschnittliche Zunahme an Chlamydien-Infektionen und an Tripper in den ländlichen Kreisen mit hoher Frackingdichte um 62 % höher als in den Kreisen ohne Fracking.

Der Schieferöl und –Gas Boom erzeugt spürbare soziale Kosten, welche die Lebensqualität in ländlichen Gemeinden untergraben. Die Gemeinden und die Bundesstaaten müssen diese Kosten mit in Betracht ziehen, wenn sie die Zulassung des kontroversen neuen Öl- und Gas-Frackings erwägen.

Diese mit dem Fracking verbundenen sozialen Kosten demonstrieren ferner die kurzsichtige Investitions- und Expansionspolitik der Industrie der schmutzigen fossilen Brennstoffe. Die Vereinigten Staaten können sich von den fossilen Brennstoffen trennen, aber dazu wird eine Neugestaltung des U.S. Energiesystemes erforderlich sein, um die erwiesenen Lösungen für saubere Energie: Naturschutz, Effizienzsteigerung und Erneuerbare Energien herum.

Diese Umgestaltung der Energieversorgung würde das Fundament für ein breites und nachhaltiges Wirtschaftswachstum bilden und würde gleichzeitig die Umweltbelastungen, und die sozialen und gesundheitlichen Folgekosten der Förderung und der Verbrennung der fossilen Brennstoffe vermeiden. Und sie würde in eine Ära der wirklichen sicheren Energieverfügbarkeit, Unabhängigkeit und Widerstandsfähigkeit der USA überführen.

Originaltitel: „Die sozialen Kosten des Frackings – eine Fallstudie am Beispiel Pennsylvanias“ — „The Social Costs of FRACKING – A Pennsylvania Case Study“, Washington, September 2013
Kommentierte, ausschnittweise Übersetzung: Volker Fritz, Braunschweig

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