Bericht zum Juni 2020: Bohrtürme im Einsatz für die Öl- und Erdgasförderung in Nordamerika

Volker H.A. Fritz Wolfenbüttel, den 19.06.2020

Berichtszeitraum 23.05. bis 19.06.2020. Im Berichtszeitraum nahm die Zahl der im Einsatz befindlichen Bohrtürme erneut deutlich ab, allerdings zum Ende des Berichtszeitraumes spürbar weniger, da die Rohölpreise wieder etwas gestiegen sind.

Zu den insgesamt 691 stillgelegten Bohrtürmen der Monate März, April und Mai 2020, die schon zu einer 67%igen Stilllegung der nordamerikanischen Bohrkapazitäten geführt hatten, kamen im Berichtsmonat Juni noch einmal 53 Bohrtürme hinzu.

Der durch den Ölpreiskrieg der Saudis und der Russen gegen die USA ausgelöste Preisverfall wurde in den letzten 2 Monaten immer spürbarer zusätzlich überlagert durch die Nachfrageausfälle der inzwischen über 2 Mrd Menschen weltweit, die wegen der CORONA-Pandemie ihr gewohntes Leben und Arbeiten unterbrochen haben und „abgesperrt“ zu Hause leben müssen um die Ausbreitung des CORONA-Virus auszubremsen. Viele Unternehmen haben Zwangspausen einlegen müssen. In China hat die Industrie wieder schrittweise damit begonnen, die Produktion wieder aufzunehmen, es herrscht aber große Sorge vor eine 2. CORONA-Ansteckungswelle.

Das dadurch ausgelöste Überangebot aus zu hoher Förderung und gleichzeitigem Bedarfsrückgang in wichtigen Abnehmerländern ließ den Ölpreis zeitweise ins Bodenlose abstürzen. In der Woche vor dem 24.04. brach er sogar kurzzeitig auf Basis WTI zusammen, wegen nicht absetzbarer, aber vertraglich georderter Rohölmengen.

Der WTI-Preis in New York fiel erstmals in der Geschichte ins Minus und Verkäufer zahlten Abnehmern noch eine Prämie, wenn sie ihnen die Rohölmengen abnahmen, bis zu 25 USD/barrel. Die OPEC und weitere Länder beschlossen massive Förderkürzungen, um den Ölpreis zu stabilisieren.

Das hat sich inzwischen wieder leicht erholt, am 22.05. lag WTI in New York bei 18 USD/barrel. Doch dieses Preisniveau ist mörderisch für die US-Förderindustrie und besonders für die teure Fracking-Ölförderung. Die angekündigte Verknappung durch Produktionskürzungen führte zu weiterer Stabilisierung auf heute knapp über 40 USD/barrel.

Das macht offenbar den noch verbliebenen Fracking-Förderunternehmen in den USA Mut, den weiteren forcierten Abbau von Bohrkapazitäten zunächst zu verlangsamen. Sie benötigen allerdings WTI-Öl-Preise von 50 bis 60 USD/barrel. Die Strategie der OPEC und Russlands ist dabei die, durch die Preisgestaltung die Fracking-Förderer der USA aus dem Geschäft zu halten.

Wir können also erwarten, dass die Fördermengensteuerung dieser Gruppe so erfolgt, dass der WTI-Preis bei 40 bis 45 USD/barrel eintariert werden wird. Weiterhin gilt, dass abseits des Handelsplatzes New York auch Rohöl zu Notierungen gehandelt wird, die deutlich unter WTI-Niveau liegen.

Der derzeitige Weltbedarf an Rohöl liegt gut 20% unter der globalen Fördermenge. Die Hauptölproduzenten haben ihre Notlage erkannt und ihre Förderungen kurzfristig drastisch reduziert, viel mehr als vorher angekündigt, um den Ölpreis wieder auf ein ökonomisch besseres Gleis zu bringen. Die Saudis haben ihren Hauptabnehmern die Liefermengen drastisch reduziert, in Asien, in Europa aber auch gegenüber den USA. Nun hoffen alle auf China, weil dort der Verbrauch mit Wiederaufnahme großer Teile der Industrieproduktion wieder anzieht.

In Nordamerika entwickelt sich eine Katastrophe. Viele der mittleren und kleinen Unternehmen mit Förderung können zu den derzeitigen Preisen nicht mehr kostendeckend fördern und einige haben in den vergangenen Wochen den Betrieb eingestellt. In Kanada haben die großen Ölsand-Verarbeiter begonnen, ihre Produktion herunter zu fahren und lassen Pläne für neue und erweiterte Produktionen in der Schublade. Sie können bei diesen Preisen nicht mehr mit Kostendeckung arbeiten. Seit 35 Jahren haben nicht so viele Förderbohrungen in Nordamerika still gestanden, wie gerade jetzt.

Im Permian und Anadarko Basin in den USA gibt es 400.000 Pferdekopfpumpen-Förderbohrungen, die von meist kleineren Familienunternehmen betrieben werden. Sie beschäftigen bisher ca. 143.000 Arbeiter, die ihre Anlagen betreiben und warten und sie fördern bisher zusammen ca. 850.000 barrels/Tag.

Davon könnten in Kürze ca. 500.000 barrels wegfallen und ca. 100.000 Arbeitsplätze, meist in ländlichen Gebieten. Das birgt jede Menge Sprengstoff für die Nachwahl von Präsident Trump. Mit dem WTI-Preis in New York über 40.-USD/barrel heute werden wohl doch mehr von diesen Unternehmen im Geschäft bleiben, als zunächst zu befürchten war, denn damit können viele von ihnen kostendeckend arbeiten. Nach dem letzten „Schock“, dem Einbruch der Ölpreise nach 2014, sind die meisten dieser Unternehmen so geschwächt, dass sie keine Reserven mehr haben.

Und auch die Zulieferer-Industrie hat mit der Reduzierung angefangen: Der Rohrhersteller Tenavis SA kündigte 223 Mitarbeitern in seinem Werk in Houston. Halliburton beurlaubte in seiner Stammfirma in Houston zunächst 3.500 Beschäftigte. In Kanada hat der Spezial-Spediteur Mullen Group Ltd. mit Sitz in Calgary, der auch Ölfeld Logistik-Aufgaben und Schwerst-Transporte aller Art durchführt, im April 1.000 Mitarbeiter entlassen, um die Auswirkungen der CORONA -Pandemie abzufangen. Die Firma hatte im 1.Q 2020 noch einen Gewinn von 318 Mio Dollar ausgewiesen. Insgesamt ist die Zahl der Konkursanmeldungen in den ersten 2 Quartalen 2020 laut Haynes-Boone bisher doch noch moderat verlaufen.

Die Angst vor CORONA allerdings geht in den Ölcamps in den USA und in Kanada um, zumal sich die Zahl der Neuansteckungen mehr und mehr aus den Ballungsräumen (New York, Las Vegas, Boston, Florida, Golfküste) in die Fläche verlagert.

In den USA haben sich inzwischen über 40 Mio Beschäftigte arbeitslos gemeldet – in nur 9 Wochen. Doch das ist nicht die ganze schreckliche Wahrheit. Die US-Arbeitsverwaltung schließt nicht die Arbeitskräfte ein, die nicht dokumentiert sind und arbeitslos werden. Ca. 8 Mio Arbeiter aus dieser Gruppe verloren ihren Job und müssen hinzugerechnet werden, ebenso noch die ganzen Absolventen, die nach Abschluss ihrer Ausbildung oder ihres Studiums arbeitslos sind. Die tatsächliche Arbeitslosenzahl beträgt sicher über 50 Mio Menschen.

Wenn auch in China so getan wird, als sei die CORONA-Pandemie so gut wie überwunden, ist es doch so, dass mit der Wiederaufnahme der Aktivitäten der Industrie und der Wirtschaft auch bisher unbekannte Infektionsträger wieder „unters Volk“ gelangen und eine zweite Welle auslösen können. Das Geschehen in Peking im Verlauf der Woche zeigt auf, wie schnell aus neuen Infektionsherden wieder größere „Lock-downs“ werden können.

Der Schaden der Weltwirtschaft durch CORONA ist gewaltig und im Moment kaum abschätzbar, zumal die USA ja gerade erst am Anfang der größeren Ausbreitung stehen mit zur Zeit 2.2 Mio registrierten Infizierten und 117.000 Toten. Das US-Gesundheitssystem ist in keiner Weise auf eine solche Pandemie vorbereitet und im ländlichen Bereich fehlen – besonders in den Bundesstaaten der „Trump-Freunde“ im Süden der USA – Krankenhäuser und Beatmungseinrichtungen. Die mögliche Zahl von 200.000 Toten rückt immer näher, da die Zahl der Infizierten in den letzten Wochen wieder zugenommen hat.

Diese Volkswirtschaft wird weiterhin monatelang lahm gelegt werden – auch wenn Präsident Trump das zu verhindern sucht – ohne Rücksichtnahme auf weitere Zehntausende Tote. Und ihre Haupt-Handelspartner, wie zum Beispiel Deutschland, werden von den Nachfrageausfällen getroffen werden.

Deutschland – als sehr stark exportorientiertes Land – ist einerseits über Zulieferketten weltweit vernetzt und hängt andererseits von den internationalen Käufern ab, die unter diesen Bedingungen zurückhaltend sind. Die entsprechenden Folgen haben bereits zu wirken begonnen. Hinzu kommt die weiter steigende Zahl Infizierter, auch wenn die tägliche Zunahme deutlich geringer geworden ist. Mit der Eröffnung von Reisemöglichkeiten ins Ausland seit 15.06.20 ist bald mit neuen Infektionen durch Reiserückkehrer zu rechnen. Die Wirtschaft in Deutschland hat begonnen, nach vorn zu arbeiten, wenn auch in vielen Bereichen noch mit stark reduzierter Kapazität.

Das Wirtschaftswachstum in 2020 wird inzwischen mit einem deutlichen Minus von über 8% erwartet. Die Absagen wichtiger international ausgerichteter Messen und Tagungen in Deutschland tragen ebenso dazu bei, wie die praktisch als Zusammenbruch des Luftverkehrs wirkende Reise- und Einreisesperre, die das Einschleppen weiterer Infizierter bisher verhindert hat.

Die groß angelegten Hilfspakete der Regierung Merkel sollen die Belastungen aus der Situation für Großunternehmen, für den Mittelstand und für kleine Selbständige – aber auch für die Menschen mit Niedriglohn und Teilzeitarbeit – erträglicher gestalten. Die Zahl der Kurzarbeiter in Deutschland wird im Jahresdurchschnitt auf 2,5 Mio Personen erwartet, in der Spitze über 3,0. Im Detail wird bei der Abwicklung der Hilfspakete mancher Haken vermutet, der kostbare Zeit verschlingen wird. Pleiten sind vorprogrammiert und viele, viele Arbeitslose.

Doch nun zu den Zahlen der Bohrtürme:

Nach dem derzeitigen Zahlenbild liegt die Gesamtzahl der eingesetzten Türme seit Februar 2018 um ca. 38% von der damaligen Gesamtbohrkapazität. In Summe bleibt damit das Einsatzvolumen in Nordamerika weiterhin mit 491 weit unter der bereits im Februar 2018 erreichten Zahl von insgesamt 1.293 Türmen. Die Rohölpreise auf WTI-Basis notierten am 14.12.2018 bei 51,20. Am 08.11.2019 lagen sie bei 56,39 USD/barrel, am 06.12.19 bei 56,32 USD/barrel, am 04.01.20 notieren sie bei 62,80 USD/barrel und am 01.02. auf 52,95 USD/barrel. Am 22.05.20 notierten sie bei 18,06 USD/barrel und heute bei 40,26 USD/barrel. Die OPEC und Partner haben die Förderkürzung deutlich über die ursprünglich vereinbarte Menge hinaus umgesetzt und dadurch recht schnell die Stabilisierung des Ölpreises bewirkt, unterstützt von den wieder steigenden Abnahmemengen Chinas.

Prognosen der IEA zum Bedarf an Rohöl in 2020 sind allesamt Makulatur geworden und per heute weiß niemand, wie lange wegen der CORONA-Epidemie die internationalen Einschränkungen des Reise-, Waren- und Güterverkehrs in 2020 aufrecht erhalten werden müssen. Inzwischen wird mit einer Dauer von mehreren Monaten gerechnet und erst für 2021/ 2022 wird eine deutliche wirtschaftliche internationale Belebung erhofft, ausgehend von dem bis dahin erreichten, stark verminderten Niveau. Wenn alles negativ zusammen kommt, kann es mehr als 5 Jahre dauern, ehe die Weltwirtschaft wieder einigermaßen „rund“ läuft. Wirtschaftskundler schätzen, dass der Einbruch stärker ausfallen kann, als die in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Die Entwicklung in den USA und in Kanada verlief im April gleichsinnig, bei Kanada allerdings auf äußerst niedrigem Niveau da man dort bereits im März fast alle Ölbohrtürme stillgelegt hatte. Der Löwenanteil der Stillegungen erfolgte auch im Berichtsmonat Juni in den USA.

Nachfolgend noch einmal die Entwicklung, nachdem es in den Monaten vor Juli 2017 eine stete Zunahme der im Einsatz befindlichen Bohrtürme gegeben hatte und im Juli Stillstand und danach einen Rückgang – mit erneuter Belebung zum Jahresbeginn 2019 und kontinuierlichem Rückgang seit März 2019 bis März 2020:

Monat/ Jahrgesamt im Einsatz in NordamerikaUSAKanadaUS Rohölpreis WTI USD / barrel
30.07.17117895822046
31.10.17111591320251,94
15.11.17109088919254,27
15.12.17116893023856,64
19.01.18126193632563,72
16.02.18129397531860,74
13.04.181110100811766,74
15.06.181198105913966,6
14.09.181281105522670,3
09.11.181277108119661,59
14.12.181245107117451,2
18.01.191259105020952,32
15.02.191275105122453,34
15.03.191187102616158,34
12.04.19108810226664,47
10.05.1910519886361,99
12.07.19107595811760,27
13.09.19102088613455
11.10.19100285614654,6
08.11.1995781714056,39
06.12.1993779913856,32
03.01.208817968562,8
31.01.20103779024752,95
28.02.20103079024044,67
27.03.207827285421,6
24.04.204914652618,06
22.05.203393182132,8
19.06.202832661740,26

Insgesamt sind jetzt in Nordamerika noch 194 Ölbohrtürme und 87 Gasbohrtürme aktiv.

Die Gebiete der Hauptaktivitäten sind in USA: Texas(111), New Mexico(51), Louisiana (32), Pennsylvania(22), North Dakota(10), Oklahoma(9), West Virginia(5), Ohio (9), Colorado(6), und Kalifornien(4).

Auch die Entwicklung der Erdgaspreise auf der Basis Henry Hub spiegelt die Entwicklung zu geringerem Energieverbrauch wider. Am 07.06.2019 lag der Preis bei 2,324 USD/mmBtu und fiel bis zum 20.06. auf unter 2,20 USD. Danach erfolgte ein leichter Anstieg bis auf 2,453 USD am 12.07.19 und bis zum 09.08.19 ein kontinuierlicher Rückgang bis auf 2,083 USD/mmBtu. Am 13.09. stand er bei 2,614 USD/mmBtu und am 08.11. lag er bei 2,772 USD/mmBtu. Am 06.12. lag er bei 2,427 USD/mmBtu und am 04.01.2020 bei 2,130 USD/mmBtu. Ende Februar wurde er bei 1,75 USD/mmBtu notiert und blieb seither immer unter 2 USD/mmBtu. Am 22.05. wurde er mit 1,815 USD/mmBtu notiert und heute mit 1,638 USD/mmBtu.

Das bedeutet zunächst weiterhin „ruinöses“ Geschäft zu nicht-kostendeckenden Preisen im „Henry Hub“. Davon profitiert nur das LNG-Geschäft mit Erdgas-Exporten nach Übersee. Um Geld zu verdienen müssten die Gaskonzerne 6 – 7 USD/mmBtu im Henry Hub erzielen. Aber auch der internationale LNG-Absatz wird drastisch sinken und zu Preisnachlässen bei LNG aus den USA – und in der Folge auch beim Erdgas zu noch größeren Verlustabschlüssen führen.

Die internationalen Bohraktivitäten nahmen deutlich ab, um 110 Türme auf 805 Bohrtürme. Meine Kommentare zur gesamten politisch/strategischen Lage rund um die weltweite Kohlenwasserstoff-Förderung sind durch die weltweite CORONA-Virus-Pandemie und den Preiskampf Saudi/Russland gegen die USA hinfällig geworden. Eine weltweite Rezession gewaltigen Ausmaßes kommt auf uns alle zu, die erst nach einer längeren Wiederbelebungsphase Schritt für Schritt überwunden werden dürfte.

Wir alle müssen diese Krise erst einmal durchstehen, dann die Neuorientierung beginnen und danach den internationalen, vernetzten Wirtschaftskreislauf wieder beleben.

Volker Fritz – im AK Fracking Braunschweiger Land.

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